Nachschau Berlin-Mariendorf, 16.08.20
Nach dem Adbell-Toddington-Rennen auch den zweiten Zacken der imaginären dreifachen Krone, zu der als drittes Stück das Derby zählt, souverän eingeklinkt, dabei den fünf Jahre alten Rennrekord Cash Hanovers egalisiert, „Kistenfahrer“ Heinz Wewering den zwölften Buddenbrock-Titel beschert: An dem von Hollands Altmeister Arnold Mollema für die Herren Remon Hendriks und Johann Holzapfel vorbereiteten Keytothehill führt, so der Eindruck nach der neuerlichen Gala des von Hiltje Tjalsma gezüchteten Hengstes, nur ein äußerst beschwerlicher Weg vorbei, wenn es in fünf Wochen um die Favoritenstellung fürs 125. deutsche Traber-Derby geht. „Roland Hülskath hat mir gesagt, er habe noch nie einen so perfekten Dreijährigen gefahren. Er hat das nötige Phlegma, kann rasant beginnen, problemlos das Tempo wechseln, ist sofort da, wenn man Leistung abrufen will. All das hat er auch mir heute gezeigt. Natürlich hätte ich gegen den durch den ersten Bogen drückenden Gold Cap BR die Führung problemlos behalten können, aber ich wollte es dem Hengst so einfach wie möglich machen. Da hinter uns alles frei war und wir nicht eingesperrt zu werden drohten, hab ich mich zur Rochade entschieden. Mit solch einem Partner kann man einen derartigen Schachzug riskieren“, war Ersatzmann Heinz Wewering voll des Lobes über den nach drei roten Karten zum Musterschüler gewordenen kleinen, dafür umso behänderen Braunen. „Ersatzmann“ deshalb, weil der 70jährige für seinen Kollegen Roland Hülskath in den Sulky geklettert war, der am vergangenen Sonntag in einem Mönchengladbacher Rennen einen Herzinfarkt erlitten hatte, auf dem Weg der Besserung ist und hofft, Keytothehill im Derby fahren zu können. „Die Tür für Roland bleibt offen, wenn es gehen sollte“, hatte Mollema vorab gesagt, und auch der Doppelweltmeister drückte seinem Nachfolger auf dem Thron des deutschen Fahrerchampions alle Daumen: „Natürlich freue ich mich über diesen Sieg, doch keine Frage: Roland hätte genauso hier im Winner Circle gestanden. Ich bin mit ihm Jahrzehnte um die Wette gefahren, er hat sich jederzeit als fairer, angenehmer Sportsmann erwiesen. Man muss sehen, wie er sich in den kommenden Wochen erholt und ob er fürs Derby fit wird.“ Wenngleich ohne jede Chance gegen den flinken Sieger, präsentierte sich der ein Kaliber größere Wild West Diamant wesentlich schwungvoller als im Adbell-Toddington-Rennen, wurde erneut - diesmal unangefochten - Zweiter und empfahl sich nachdrücklich für die Vorlauf-Setzliste. Kräftig Federn ließ indes der im „Adbell“ für den Ehrenplatz hauchdünn unterlegene Jonny Hill, der deutlich abgehängt nur Rang fünf ergatterte.
Ebenso eindeutig schälte sich Kyriad Newport aus den zwölf 2017 geborenen Ladys heraus, die im Stutenlauf antraten. Dabei konnte Michael Nimczyk mit der aus vier Auftritten nunmehr dreifachen Siegerin die ideale Startposition „3“ nicht mal richtig nutzen, kam in der von der im ersten Bogen ausfallenden Whoopie Diamant, Better Be Royal und Glide be Lucky AS geprägten horrenden Anfangsphase nur im dritten Paar außen unter und hatte die haushohe Favoritin Namanga Bo, für die Pietro Gubellini extra aus Italien eingeflogen war, im Nacken. Die Maharajah-Tochter, die wegen dieses Rennens das E3-Finale tags zuvor im schwedischen Romme abgesagt hatte, machte auch den rasenden Vorstoß mit, den Kyriad Newport 900 Meter vorm Ziel inszenierte und der die Nimczyk-Stute im Rush an die Tête brachte. Namanga Bo musste allerdings außen bleiben, weil Glide be Lucky AS trotz eines recht ausgiebigen Fehlers die Lücke zu schließen vermochte, und eben diese Rivalin am Ende vorbeilassen. Kein Kraut war gegen Kyriad Newport gewachsen, die weit nach außen driftete, jedoch ebenso weit, nämlich drei Längen voraus war. „Vor vier Wochen hab ich mich im Nachhinein geärgert, dass wir mit ihr nicht ins Adbell-Toddington-Stutenrennen gegangen sind. Heute hat sie gezeigt, wie gut sie ist“, war des Goldhelms zufriedenes Resümee.
Neben diesem Klassiker war alles drin im Programm, was einen Rennsportfreund jauchzen lässt. Im sechsten und letzten (Vor-)Lauf der Silberserie - das Finale der zwölf Punktbesten findet am 5. September statt - gelang dem vorjährigen Derby-Fünften Jason Dragon im vierten Anlauf nach drei Ehrenplätzen endlich der erste volle Wurf der Saison. Nach 500 Metern vorn, stiefelte der Ganymède-Sohn beeindruckend vorneweg und legte mit Robin Bakker in 1:12,7 eine Superzeit vor, an der auch der imposant spurtende Außenseiter Victorymoko abprallte.
Der gleichfalls sechste Lauf der ähnlich konzipierten Newcomer-Serie wurde eine Beute Velten von Pollys. Beim zweiten Run nach fast zweijähriger Pause - zuvor war er letztmals im Derby 2018 unter Order! - bugsierte Jaap van Rijn den erst den fünften Karrierestart absolvierenden Varenne-Sohn nach 500 Metern in Front, widerstand eine Runde später dem wackeren Amon Wise As und sprang in blanken 1:13 quasi in letzter Sekunde auf den Halbfinal-Zug, der am 5. September abfährt.
Weil’s so gut geklappt hatte, wusch Hollands Nachwuchsstar in der unmittelbar anschließenden Gold-Serie brutal nach. Blendend aus dem zweiten Band abgekommen, löste der zwischen seiner Heimat, Frankreich, den Niederlanden und Deutschland mit viel Erfolg pendelnde Schwede Prosperous nach 600 Metern Arendelle am Regiepult ab, legte aus der letzten Kurve den Schnellgang ein und verabschiedete sich auf fünf Längen von der Stute, die erst Rainbow Diamant, dann den dafür in die Bresche springenden Juan Les Pins um eine Nasenspitze abwimmelte.
Sieben der zehn Teilnehmer im Match für die Gewinnärmsten wiesen noch eine Derby-Nennung auf. Eine echte Empfehlung bot Debütantin Paulette. Josef Franzl brauchte mit der eleganten Fuchsstute der enormes Tempo bolzenden Französin Galaxie du Try nur hinterherzufahren, um am Ende in 1:14,8 leicht vor dem ebenfalls noch fürs Blaue Band nominierten Ken Bull anzuschlagen, der einiges richtig stellte.
Eine Klasse höher absolvierten Bavaro und Robbin Bot aus dem Fahrwasser des lange führenden, im Einlauf erheblich wackelnden Cunningham, an dem auch Workaholic Diamant vorbeimarschierte, die Probe aufs wahrscheinliche Derby-Exempel in locker herausgelaufenen 1:14,1 - ein „Upgrade“ um zwei Sekunden. Voll in die Hose ging hingegen die Derby-Generalprobe des hochtalentierten Global Lover, für den Thorsten Tietz gegen sehr viel erfahrenere Konkurrenz eine anspruchsvolle Aufgabe ausgesucht hatte. Der wacklige Fuchs bekam fast einen Kilometer lang Dauerdruck und war bei Virginias Primes Generalattacke mit dem zweiten Fehler endgültig aus der Partie. Den einmal ergatterten Vorteil ließ sich Dennis Spangenberg nicht mehr nehmen - im Gegenteil: Auf der Zielgeraden wurde der Prodigious-Sohn immer kerniger und siegte in famosem Stil unter Rekordverbesserung um 1,3 Sekunden auf 1:13,5.
Mit einem Knallbonbon eröffneten die Amateure den Renntag, bei denen vier kampfeslustige Amazonen über weite Strecken bestimmten, wo und wie schnell es langgeht. In einem mitreißenden Endkampf, der nichts für Herzschwache war, schlug der nur noch selten im Sulky aktive einstige Karlshorster Champion Sebastian Gläser mit Thunder Jet für 102:10 haarscharf zu. Für den „Donnervogel“ war’s der fünfte Erfolg „lifetime“ und erste nach 1½ Jahren Siegabstinenz.
Nichts für schwache Nerven war auch das zweite Treffen der Hobbyfahrer, bei dem das Gespann Golden Evasion und Yanick Mollema bereits eine „Weile“ voraus war, als sich die rassige Französin mit dem Stechschritt ausgangs der letzten Kurve urplötzlich einen kapitalen Aussetzer genehmigte und es noch einmal spannend machte. Dem jungen Niederländer gelang es, sie nach sieben Sprüngen rechtzeitig vor der drohenden roten Karte zur Räson zu bringen und sich den Morgenluft witternden Spy Lord locker vom Leib zu halten.
Das erste der beiden Trotteur-Français-Rennen wurde eine sichere Beute von 11:10-Favoritin Fanny Hill und Michael Nimczyk, obwohl der Vorsprung auf Fly With Me lediglich eine halbe Länge betrug. Mehr Probleme als mit der Gegnerin hatte die „Skandaldame“ des Romanciers John Cleland mit der Gangart, doch genügten zwei Wechselschritte kurz vorm Ziel nicht zur Disqualifikation.
Der Absacker war den reicheren Franzosen-Trabern vorbehalten, bei denen sich Thorsten Tietz mit dem aus dem Windschatten von Tempomacher Birdy de Neuilly überlegen davon spurtenden Fighter Pilot für den ansonsten sehr durchwachsen verlaufenden Arbeitstag ein Trostpflaster abholte.
Umsatz bei 12 Rennen: 213.272,17 Euro (incl. 155.343,97 Euro Außenumsatz)
Nächster Renntag des BTV: Samstag, 5. September 2020